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Historischer Tag: 20 Jahre Billigflieger in Deutschland

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Fliegen war über viele Jahre extrem teuer und das Privileg der „Schönen und Reichen“: Am 9. April vor genau 20 Jahren landete der erste „Billigflug“  von London-Stansted kommend auf deutschem Boden: Frankfurt-Hahn wurde Pionier und war über viele Jahre lang wichtigster Airport des Landes für Freizeitreisende. (C)

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Damals hießen die Konkurrenten LTU, Germania, Hapag Lloyd, Deutsche BA, British Midland, AeroLloyd, Lufthansa und British Airways. Ein Flug nach London, Barcelona oder Madrid gab es in der Regel nicht für unter 250€ und viele Bürger konnten sich Fliegen gar nicht leisten: Allenfalls einmal im Jahr oder alle zwei Jahre im Rahmen einer Pauschalreise. Kaum zu glauben, in der damaligen Welt waren die Pauschalreisen von Neckermann und Co wirklich die billigste Möglichkeit zu verreisen und das Mittel der Wahl. Für die junge Generation, die mit Ryanair, Wizzair, Volotea aufgewachsen ist, klingt das verrückt:  Für andere die gute alte Zeit.

 „Nur ein paar Monate gebe ich der neuen Strecke“ – und für unter 150 DM nach London zu fliegen könne dauerhaft nicht funktionieren – gab der damalige Lufthansa-Chef Jürgen Weber zu Protokoll. Reisebüroverbände, die Vertreter der alten Airlines und die Massenmedien warnten: Es sollte der Eindruck entstehen, dass Passagiere Gefahr laufen ihr Geld zu verlieren und es nur ein Lockangebot sei.

Fliegen war Luxus – warmes Essen und Wein gehörten dazu

Fliegen war damals Luxus: Auf innerdeutschen Flügen floss bei Geschäftsreisenden der Alkohol in Strömen, wer mit Flugzeug reiste war in der Gesellschaft angesehen: Heute London, Morgen Rom und nächstes Wochenede nach Barcelona – das konnten nur Promis, Politiker und Manager. Der Begriff vom Jetset – den wirtschaftlichen Erfolgreichen, die sich das Fliegen leisten können, prägte den Begriff.

Dass es an Bord ein warmes Essen, Getränke, Alkohol und Rundum-Service gab – das war selbstverständlich. Fliegen war Luxus.

Bis plötzlich – am 9. April 1999 – eine kleine irische Airline im Hunsrück landete und die Welt dramatisch verändern sollte.

Ryanair wird geliebt und gehasst zu gleich

Das ist auch der Grund, warum Ryanair bis heute polarisiert: Ryanair wird geliebt und gehasst. Angebetet und Verachtet. An keinem anderen Transportunternehmen scheiden sich die Geister so sehr.

Wer die alte Zeit erlebt hat, seine Flugreisen nicht selber bezahlen musste, verachtet Ryanair nicht selten. Die Flughäfen waren leer, exklusiver. Ein gehobener Ort.

Auch viele Airline-Mitarbeiter trauern der alten Zeit hinterher: In einer Zeit ohne Wettbewerb und Konkurrenz musste weniger für das Geld gearbeitet werden: Alles war langsamer, gemächlicher. Flugzeuge standen zwischen den Flügen teils stundenlang am Boden. Pilot und sogar Stewardess war ein angesehener Beruf. Aufgrund der Exklusivität lag die Bezahlung weit über dem eigentlichen Marktwert: Eine Flugbegleiterin ist überspitzt formuliert nur eine in einem sechs bis zehn Wochen Kurs angelernte Kellnerin&Putzfrau der Lüfte.  Reisebüros verdienten sich eine goldene Nase an den exorbitant teuren Flugreisen. Viele lebten gut und feudal im „Luxusmarkt Fliegerei“.

Von dieser Seite aus kommen – vor allem von denen welche die alte Zeit noch kannten – häufig Hass und Kritik, sowie Lügengeschichten über Ryanair. Obwohl zahlenmäßig kaum bemerkbar, dominieren die „Ewiggestrigen“ in Luftfahrtforen und Medien. Denn als aus der Branche kommend – wenn auch aus dem sterbenden Teil – finden sie leicht Gehör.  „Früher war alles besser!“  Selbst nach zwanzig Jahren eine dominante Meinung.

Geliebt wird Ryanair vom Bürger. Studenten, Putzfrauen, Paketzusteller, Alleinerziehende Mütter, selbst Arbeitslose – alle die früher höchstens einmal im Jahr mit der vergleichsweise teuren Bahn an die Nord- oder Ostsee fahren konnten fliegen heute für den Preis einer Bahnfahrkarte von München an die Nordsee gleich mehrmals im Jahr in den sonnigen Süden.

Ryanair hat das Fliegen demokratistiert, breiten Gesellschaftsschichten möglich gemacht. Heute kann sich praktisch jeder einen Flug leisten. Selbst im Jahr 2019 gab es Hin- und Rückflüge nach Mallorca für 2 Cent. Ein Flaschensammler kann heute von einer gefundenen Plastikflasche in den Süden fliegen, um es plakativ auf den Punkt zu bringen. Und genau daran scheiden sich die Geister: Die einen finden das absurd, die anderen genau richtig.

Der Luftverkehr ist die einzige Branche, in der kluges Buchen wichtiger ist als Geld. Eine unglaublich faire Parallelwelt zur immer härter werdenden Arbeits&Mietwelt in Deutschland und ganz Europa. Auch deswegen wird die neue Luftfahrtwelt von vielen mit Geld und den wohlhabenden „Grünen“ aus dem „Bioladenkiez“ extremst kritisiert.

Und genau deshalb wird Ryanair von der breiten Masse regelrecht angebetet. Ryanair hat eine Tür aufgestoßen, durch die auch Wizzair, Vueling, Air Asia, FlyScoot, Tiger Airways und viele andere moderne Airlines gegangen sind. Denn das Konzept funktioniert weltweit. Egal, ob von Kuala Lumpur nach Singapore, Frankfurt-Hahn nach Mallorca oder Barcelona nach Porto: Die meisten fliegen, um schnell, zuverlässig und günstig von A nach B zu kommen.

Fliegen als Busfahrt der Lüfte, der Transport ist billig, alles kostet extra. Das hat Ryanair eingeführt und perfektioniert. Der Passagier zahlt nur für Leistungen, die er braucht: Benötigt er kein Gepäck&, kein Getränk, dann braucht er dafür nicht zahlen.

Natürlich kostet bei Ryanair nicht jedes Ticket 0,01€ oder 9,99€. Das würde nicht funktionieren. Auch bei Ryanair gibt es Tickets für 39,99€, 59,99€ ja gar 189,99€, wenn man unflexibel ist und zum falschen Zeitpunkt bucht: Doch jeder, der sich ein bisschen mit dem Preissystem beschäftigt muss selbst in den Ferien nicht mehr als 30€ bezahlen. Die Mischkalkulation ist neben der modernen Flotte und guten Organisation das Erfolgsgeheimnis.

Fliegen ist ohne Frage zu einer Massenware geworden: Und genau das wird Ryanair von den Kritikern vorgeworfen. Dass der Erasmus-Student, die Krankenschwester, der Student jetzt in Europa Freunde und Famillie besuchen oder einfach wegfliegen kann. Das klingt absurd – ist aber der Fakt.


Ohne staatliche Förderung zur Nummer 1 in Europa

Wenn man die reinen Zahlen betrachtet ist Ryanair Europas größte Single-Airline. Niemand befördert weltweit mehr internationale Passagiere als Ryanair. Dies ist dem extrem kleinen Heimatmarkt in Irland geschuldet: Wo Lufthansa, Iberia oder Austrian im Heimatmarkt stark und oft konkurrenzlos sind bietet Ryanair in Irland keine Inlandsflüge an. Wo Passagiere die Wahl haben, also auf internationalen Strecken, auf denen meist mehrere Airlines fliegen, wird meist Ryanair gewählt.

Vor genau zwanzig Jahren startete Ryanair mit rund 15 gebrauchten Boeing 737-200 Advanced z.B. aus Beständen der Lufthansa während selbige schon um die 250 Flieger hatte. Auch British Airways, KLM und Co waren zum damaligen Zeitpunkt mehr als zehn Mal so groß als die junge Ryanair.  Während die alten Staatsairlines vom Steuerzahler aufgebaut und Jahrzehnte gepäppelt, teilweise mehrfach gerettet wurden, baute Ryanair sich durch den eigenen Erfolg ohne einen Staat im Rücken zur Nummer 1 in Europa auf.

Natürlich hat sich der Flug&Reisemarkt in den letzten 20 Jahren verändert: Und das liegt nicht nur, aber oft an Ryanair: Auch wenn die Iren als erste Airline komplett auf Reisebüros und Veranstalter verzichteten und vor 20 Jahren als eine der ersten Fluglinien auf das damals neue und von vielen verlachte Internet setzten. Ryanair verkaufte Tickets im Netz, als Lufthansa, LTU, AeroLloyd und Germania noch über Reisebüro umständliche Papiertickets vertrieben, die man bei Check-in vorlegen und abreißen musste. Natürlich wäre das Papierticket heute auch ohne Ryanair verschwunden – aber die Iren waren einmal mehr Vorreiter.

Ryanair hat viele Neuerungen eingeführt, die meisten davon sind heute Standard in der Branche. Auch dafür wird die Fluglinie gehasst. Heute ist auch ein Flug in der Economy-Class von Iberia, British Airways, Lufthansa oder KLM reine Massenware. Nicht wirklich anders als bei Ryanair, easyJet oder Wizzair. Fliegen ist – sofern man keinen hohen Status hat – kein Luxus mehr.

Mit der Konkurrenz und dem Preisdruck, sowie dem Versuch, die Ryanair Preise zu erreichen haben sich natürlich die Arbeitsbedingungen in der Luftfahrtbranche zumindest etwas dem Gesamtmarkt angepasst. Auch dafür wird Ryanair von vielen in der Branche gehasst: Aus dem Traumberuf Stewardess mit absoluter Traumbezahlung wurde ein normaler Job mit Luftbonus: Niemand sollte aber vergessen – im Endeffekt ist es ein Aushilfsjob mit sechs Wochen Crashkurs. Putzfrau&Kellnerin bzw. Verkäuferin der Lüfte. Dafür ist die Bezahlung selbst bei Ryanair noch überragend.

Neuer Markt: Hohe All-Inclusive-Preise funktionieren nicht mehr

LTU ist wie Germania oder aeroLloyd oder SmallPlanet Geschichte.  Foto: Christian MaskosDer Markt ist heute anders: Fliegen demokratisiert: Hohe Einstiegs-Preise funktionieren nicht mehr. Ein Flugzeug lässt sich auf den meisten Strecken nur noch über eine gesunde Mischung aus Schnäppchenjägern mit 4,99€ Tickets und extrem früh- oder spät Buchenden, die sehr hohe Preise zahlen, in der Mischkalkulation gewinnbringend füllen.

Germania hatte es bis zuletzt mit dem alten Modell probiert: Hohe Einsteigstarife ab 49€ – dafür mit Gepäck, Snack, Zeitungen. Die Folge war die Insolvenz. LTU ist gescheitert, Air Berlin gescheitert mit dem Versuch an hohen Einstiegspreisen festzuhalten “um Fliegen einen Wert” zu geben, den es nicht hat. Monarch gescheitert, SmallPlanet gescheitert, BMI Regional gescheitert. Verschiedene – aber allesamt alte Geschäftsmodelle: Der Charterflieger für Pauschalreisende, Der Regionalflieger mit Gepäck&Service.

Ob man Ryanair dafür hassen oder lieben möchte, das muss jeder selbst entscheiden. Fakt ist: Keine andere Airline hat die Luftfahrtbranche so sehr geprägt, optimiert und verbessert wie Ryanair. Deren einziges Geheimniss eine fürchterliche Effizienz und Zuverlässigkeit ist. Man bekommt, was man gebucht hat zur vereinbarten Zeit. Nicht mehr und nicht weniger.

 Wir lieben Ryanair. Denn ohne Ryanair wäre unser Leben anders verlaufen: Exbir wäre nie entstanden. Aber vermutlich wird es auch viele Hate-Posts in den Kommentaren von Reisenden und Reisebüro&Airlinemitarbeitern geben, die aus ihrer Luxus-Komfortzone in die reale Welt des Wettbewerbs gerissen wurden. Und dafür der irischen Airline die Schuld geben. Was aus der jeweiligen Einzelsicht nachzuvollziehen ist. Den Erfolg – und am Ende entscheidet der Kunde und der Markt – der Fluglinie nicht schmälert.  War fliegen früher schöner?  Ohne Frage: Jeder Flug war etwas Besonderes.   Aber heute kann jeder fliegen.

20 Jahre Ryanair in Deutschland. Ein historischer Tag. Der vielleicht wichtigste Tag der nationalen Luftfahrtgeschichte.