Künstliche Intelligenz oder die Zukunft beim Flirten
Lesestoff – eine Kurzgeschichte
Also Rudi, ich probiere das jetzt mal aus, sagt Heinz zu seinem alten Kumpel.
‘
Was probierst du aus? fragt Rudi.
Das mit dem Elektrohirn hier. Heinz schiebt seinen besonders flachen, besonders ergonomischen, besonders kleinen aber leistungsfähigen Laptop auf den Kneipentisch vor ihnen.
Generalprobe! ruft er. Der erste Satz ist immer am schwierigsten. Der muss sitzen. Also nehmen wir an, sie sitzt im ICE dort, wo der Vierertisch ist. Ich komme dazu.
Eingabe in ChatGPT: ICE nach München. Vierertisch. Attraktive junge Frau allein am Tisch. Ich komme hinzu. Was sage ich?
Nur eine Sekunde bleibt das Kästchen für die Antwort leer. Dann schlägt das Programm vor:
Entschuldigung. Sind die Plätze hier frei? Darf ich mich zu Ihnen setzen?
Sehr originell, sagt Rudi. Auf so etwas wäre ich auch allein gekommen.
Bitte etwas Originelleres vorschlagen, gibt Heinz ein.
Meine schönes Fräulein, darf ich es wagen, einen Sitzplatz hier beanzutragen?
Hä? sagt Rudi. Erstens klappert die Grammatik am Schluss und außerdem kannst Du nicht davon ausgehen, dass die Dame Goethes Faust kennt. Es müsste schon etwas Zeitgemäßeres sein.
Bitte etwas Zeitgemäßeres, gibt Heinz ein.
Wie wärs mit uns beiden, Süße? gibt der Computer raus.
Doch nicht so plump, nicht so direkt, nicht so ordinär, brummt Rudi. Auf die Art kriegst du bestimmt keinen Sitzplatz.
Bitte etwas, das nicht so plump aber originell ist, gibt Heinz ein.
Sie haben großes Glück, junge Frau. Sie treffen mich hier. Darf ich mich setzen?
Bis jetzt die akzeptabelste Version, brummt Rudi. Den Spruch gibt´s zwar schon, aber nicht jede kennt ihn. Wie soll es dann weiter gehen?
Ich habe Interesse an einem Gespräch mit der jungen Frau. Wie soll ich begin-nen? gibt Rudi ein.
Sie haben eine große Bandbreite an einführenden Formulierungen. Einige Beispiele:
Es ist heute etwas regnerisch draußen. Da ist es gut, dass der Zug ein Dach hat.
–
Fahren Sie auch nach München?
–
Darf ich Ihnen von meinen Hustenbonbons anbieten?
–
Möchten Sie sich nicht ein wenig mit mir unterhalten?
–
Wenn Sie wollen, stelle ich Ihnen eine Intelligenzfrage.
Du liebe Zeit, sagt Rudi. Wo leben wir denn? Glaubst du wirklich, dass auch nur einer von diesen Sätzen als Anrede taugt?
Das mit den Hustenbonbons geht doch, meint Heinz. Das mit der Intelligenzfrage ist grenzwertig aber kann erfolgreich sein. Kommt auf die Dame an.
Es kommt immer auf die Dame an, sagt Rudi holt seinen Laptop hervor und stellt ihn neben Rudis Computer auf den Tisch. Ich mach jetzt mal die Lady, sagt er. Nach etwas Herumtippen hat auch er das Chat-Programm geladen.
Ich bin eine dunkelblonde, mittelgroße Frau von 31 Jahren. Busen klein, Gesicht attraktiv, wenig geschminkt, Lippenstift, beiges Kostüm, Beruf Assistenzärztin an einer Klinik.
Heinz versucht es mit: Sie haben großes Glück, junge Frau. Sie treffen mich hier. Darf ich mich setzen?
Da die Sprachfunktion des Computers abgestellt ist, muss Rudi den Spruch von Hand eingeben. Sein Elektrokästchen antwortet:
Sie sind ja ein ganz Forscher. Den Spruch kenne ich schon. Zuletzt habe ich ihn im Musical „Linie 1“ gehört. Aber setzen können Sie sich trotzdem.
Na, die ist ja schnippisch! Versuchen wir´s mit einer anderen Anbahnung:
Mein schönes Fräulein, darf ich es wagen, einen Sitzplatz hier zu beantragen?
Hock di hi! kommt sofort als Antwort.
Schon besser. Sie scheint eine Bayerin zu sein. Versuchen wir es auf die treudoofe Tour:
Fahren Sie auch nach München?
Wenn sie jetzt sagt: Sind Sie ein bisschen plemplem? Wir sitzen doch in dem Zug nach München! dann hat sie wenig Humor. Bin gespannt, sagt Rudi und tippt.
Junger Mann, wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen, dann müssen Sie sich entscheiden, ob sie kluge Sachen sagen wollen oder strunzdumme.
Uff, sagt Heinz. Was antwortet man jetzt darauf?
Sie finden eine passable Antwort. Sie erhalten eine Antwort auf die Antwort und entgegnen wieder. Nebenbei immer mal ein Griff zum Bierglas. Nach einiger Zeit wird ihnen aber das Spiel langweilig. Schön und gut sagt Rudi, aber das hier ist al-les graue Theorie.
Wir brauchen den Versuch am lebenden Objekt, die Operation am offenen Herzen, sagt Heinz. Der Rest des Abends vergeht mit der Planung des Anschlags. Er wird gleich für morgen projektiert. Die Bedingungen sind günstig. Die Sonne scheint. Sie sind zusammen zu einem Kongress in dieser hübschen alten Stadt. Die Sitzungen sind vorüber und sie haben noch zwei Urlaubstage angehängt. Das technische Equipment ist vorhanden. Der Platz im Zentrum namens Buttermarkt soll Ort der Tat werden.
*
Elisabeth Neuenhöfer genießt den schönen Nachmittag. Samstag, Wochenende, sie ist ein bisschen durch die Altstadtgassen geschlendert, hat sich hier ein paar Seidenstrümpfe blickdicht gekauft und dort eine Currywurst gegessen. In den Fenstern der Schaufenster hat sie mit Befriedigung ihr Spiegelbild gesehen. Hübsche junge Frau, die da drin, hat sie gedacht, wohl wissend, dass sie ihr eigenes Spiegelbild meinte. Nun ist Zeit für ein gutes Eis ohne Sahne auf dem Buttermarkt, wo auf dem Kopfsteinpflaster viele Tische der Eisdiele und Cocktailbar stehen. Hier ist alles autofrei.
Die meisten Bistrotische auf dem Pflaster sind besetzt. Familien mit ein, zwei klei-nen Kindern, fünfzehnjährige Schulfreundinnen, ein Großvater und eine Großmama, die sich mal etwas gönnen. Elisabeth findet einen freien Tisch mit drei Stühlen. Sie bemerkt nicht, dass ein Stück entfernt in ihrem Rücken ein weiterer Tisch frei ist, an den sich jetzt ein junger Mann setzt, der sofort seinen Laptop aufklappt.
Ich kann genauso schnell schreiben wie du sprichst, hat Heinz gesagt. Nun muss er den Beweis antreten.
Forsch nähert sich Rudi dem Tisch von Elisabeth. Schon von weitem versucht er Blickkontakt aufzunehmen, was für einen Moment gelingt. Dann ist er da. Er fasst die Lehne eines Stuhls und sagt höflich: Ist hier bei Ihnen vielleicht noch frei? Da-bei hält er eine Hand vor die Brusttasche seines T-shirts, in der sich das Mikrofon mit dem Bluetooth Sender befindet. Den Kopfhörer in seinem Ohr verdecken die Haare, die er schon immer lang hat wachsen lassen.
Mainswääche, kommt zurück.
Etwas verwirrt setzt sich Rudi. Er wartet auf eine Anregung aus dem Ohrhörer, aber es kommt nur die Stimme von Heinz: Die KI versteht „meinswääche“ nicht. Ich gebe mal ein „Gesprächseröffnung“.
Hübsches Städtchen, schöner Tag, kommt gleich darauf als Vorschlag.
Hübsches Städtchen, schöner Tag! sagt Rudi laut und lässt seinen Blick demonstrativ auf dem Platz umherschweifen um dann an ihr anzuhalten.
Bos de net soast, kommt zurück.
Ja zum Donnerdrummel, was redet die denn? Die KI fragt ob das eventuell franzö-sisch ist. Keine Vorschläge, zeigt der Schirm an.
Sie kommen offenbar von hier, junge Frau. So improvisiert Rudi ohne Anleitung.
Eich sänn vo Wäälkersch. Un du kuiz?
Sie fragt offenbar, wo ich herkomme, murmelt Rudi so leise wie möglich ins Mikro-fon.
Antwort auf Frage nach Herkunft, originell, gibt Heinz drei Tische weiter in den Labtop ein. Meine Wiege stand am schönen Strand der Spree, antwortet die KI.
Meine Wiege stand, am … er unterbricht sich. Was für ein Quatsch, fügt er dann an.
Die junge Frau schaut ihn etwas scheel an. Schalk in ihren Augen. Bos bistn du för an Ploasteschisser? sagt sie dann und löffelt ihr Eis ohne Sahne.
Die KI meint, das könnte so etwas wie Fladenscheißer heißen, kommt aus dem Ohrhörer. Sie ist sich aber nicht ganz sicher.
Sollen wir aufgeben? fragt Rudi leise ins Mikrofon. Die Geräusche des Platzes ringsum übertönen sein Geflüster. Die junge Dame – hübsch ist sie auch noch, außerordentlich hübsch und sexy, findet Rudi – die junge Frau hat anscheinend alles Interesse an ihm verloren und dreht sich mit dem Stuhl ein wenig mehr in den Schatten. Er sieht sie jetzt nur noch von der Seite. Aufregendes Profil.
Neuer Anlauf: Fragen Sie die Dame, ob sie Lust hat, einen Jägermeister mitzutrinken. Oder ob es ein Cocktail sein darf, schlägt die KI vor.
Ich würde Sie gerne zu einem Schnäpschen einladen oder darf es vielleicht ein Cocktail sein?
Wellste mich besoffe mache oder borem loadste mech i ? Ihr Lächeln dabei – zauberhaft.
Sie spielt mit Ihnen, kommt von der KI. Geben Sie sich zum Schein geschlagen. Sagen Sie in zerknirschtem Ton: Ich gebe zu, ich verstehe Ihre Fremdsprache nicht. Ich bin einfach zu … zu … ungebildet.
Rudi tut es.
Die junge Frau taut auf. Ihr Lächeln wird milder, sie lacht sogar ein bisschen. Ihr Blick ist nun eine Mischung aus Zuwendung und freundlichem Mitleid.
Lassen Sie mal gut sein, sagt sie. Nicht jeder spricht die alten Sprachen. Wenn´s recht ist, wäre ich für einen cremig süßen Pina Colada zu haben.
Im Nu hat Rudi den Kellner gerufen. Zwei Pinas bitte! Als die dann kommen, stoßen die beiden mit den Gläsern an und sehen sich tief in die Augen.
Wäälkersch heißt übrigens Welkers. Das ist mein Dorf.
Hab ich mir gedacht, sagt Rudi forsch.
© 9. 5. 2023 Wolfgang Rill
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