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Neue Strategie: Ryanair mit Angriff auf Vueling und Flüge ab Großflughäfen

Ryanair – bislang die weltweit beliebteste Fluglinie – ändert ihre Strategie und wird verstärkt ab größeren Flughäfen – auch solchen, die dafür bekannt sind, Airlines und Passagiere aufgrund zentralerer Lage mit Wuchergebühren zu erpressen – abheben. So eröffnet die Airline Basen am Flughafen Rom-Fiumicino und Brüssel-Zaventeem und verstärkt Flüge nach Lissabon. Zugleich ein Frontalangriff auf Vueling, die in den letzten Tagen neue Basen in Brüssel und Rom verkündet hatten. Die neuen Strecke werden hochfrequent geflogen und sollen auch die gesellschaftliche Randgruppe der Businessreisenden ansprechen, aber auch mehr Kurztrips für Normalos ermöglichen.

Die Systemänderung ist aber nicht ohne Risiko und kann nur funktionieren, wenn Ryanair die Bestandskunden mitnimmt, welche die Airline groß gemacht haben: Den Privatreisenden, Bdugetreisenden, Schüler, Studenten und auch Familien aus den Regionen mit geringem Einkommen, die dank der Iren überhaupt erst abheben konnten. Daher werden beliebte Flughäfen wie Brüssel-Charleroi, Rom-Ciampino oder Düsseldorf-Weeze weiter im Netz bleiben und auch ausgebaut werden, wenn im September die ersten von insgesamt 175 neuen Boeing 737-800 zur Flotte stoßen. Das zeigen auch neue Strecken von London-Stansted nach Dortmund, Brive, Osijek oder Skelleftea. 

Vermutlich wird es eine Aufteilung ähnlich wie in Barcelona geben, wo die hochfrequenten Strecken, die auch Businesskunden ansprechen sollen, zum zentralen Flughafen verlagert werden, die Holidaydestiantionen und weniger frequent geflogene Destinationen, die Privatreisende ansprechen, weiterhin an den günstigeren und zumeist deutlich bequemeren Airports bleiben. So kann man zum Beispiel von Mailand-Bergamo, Brüssel-Charleroi oder London-Stansted wählen, ob man nach Barcelona (BCN) , Barcelona-Reus oder Barcelona-Girona fliegen möchte.

Dass Ryanair Strecken dicht nebeneinader betreiben und Füllen kann, zeigen die Regionen Barcelona oder Deutschland/Holland. Düsseldorf-Weeze hat durch die neuen Flüge ab Dortmund, Köln-Bonn, Münster-Osnabrück und Maastricht-Aachen und dem ausgebauten Standort in Eindhoven – sogar auf identischen Strecken z.B. Girona – keinerlei Kunden verloren.

Gerade am Standort Brüssel macht der Schritt Sinn, da der Flughafen Brüssel-Charleroi jetzt zu Peak-Zeiten am Morgen und Abend bereits heillos überfüllt ist und es auch an Schlafmöglichkeiten für früh abfliegende und spät ankommende Passagiere am Airport mangelt. Ähnliches gilt auch für Rom, wo die Anzahl der Flugfrequenzen am stadtnahen und zentralen Ciampino künstlich limitiert und von Ryanair bereits voll ausgeschöpft wurde.

Die neue Strategie hat aber auch Risiken. Ob Ryanair an Flughäfen wie Brüssel-Zaventem realistische und für die klassische Ryanairklientel bezahlbare Flugpreise anpreisen kann, ist aufgrund der hohen Gebühren fraglich. Ein Preisniveau wie zum Beispiel von easyJet mit Preisen von über 30€ ist für viele Ryanairkunden nicht zu stemmen: Auf vielen Strecken mussten die Iren bereits die Frequenzen reduzieren, als die Preise von 7€ auf nun mindestens 14,99€ erhöht wurden. Zu Zeiten der 0,01€ Tickets liefen Strecken wie Frankfurt-Hahn nach Stockholm-Skavsta, Mailand-Bergamo Barcelona-Girona oder Rom-Ciampino problemlos zweimal am Tag. Zu 14,99€ teilweise nur noch vier oder fünf Mal pro Woche.

Für den Endkunden stellt sich natürlich die Frage nach dem Endpreis: Dank des Busshuttles für 5€ zwischen Brüssel und dem Airport Charleroi ist also der Mehrpreis, den Ryanair ab Brüssel verlangen kann, minimal. Die Zeitersparnis bei der Anreise wird durch die exorbitant langen Wege am Airport ohnehin mehr als aufgefressen. In Rom ist Fiumicino ohnehin deutlich unattraktiver als Ciampino – das Wachstum dort nur ein Notnagel wegen der beschränkten Flugfrequenzen am beliebten und zentralen Ciampino.

Komplett neu ist diese Strategie nicht, so fliegt Ryanair schon seit Jahren die Hauptflughäfen in Barcelona, Madrid oder Alicante an und steuert aufgrund mangelnder Neubauten von Regionalflughäfen in attraktiven Lagen auch Flughäfen der Größe Nürnberg oder Leipzig-Halle an.

Dass diese Änderung nun so massiv vollgezogen wurde – nämlich vor der Auslieferung der neuen Jets erfolgt – ist eine Reaktion auf British Airways und Iberias Low-Cost aber High Price Tochter Vueling. Dadurch, dass die Iren – mit dem besseren Produkt und der höheren Zuverlässigkeit und den besseren Preisen – nahezu die identischen Strecken aufnehmen, soll dem Lieblingsfeind British Airways das Leben schwer machen und die Strategie eine Paneuropäische Marke zu werden, wie es easyJet oder Ryanair schon sind durchkreuzen.

Auf lange Sicht – das zeigen auch die anderen Änderungen wie das zweite Handgepäckstück – will Ryanair neben den eigenen cleveren und sparsamen Kunden auch in der Zielgruppe wenig informierter preisunsensibler Wenigflieger, die jetzt vielleicht mit easyJet oder mangels Wissen gar mit einer teuren Fluglinie wie Air Berlin unterwegs sind, da Ihnen Ryanair aufgrund der Wahlfreiheit zu kompliziert oder ungewohnt war – ansprechen.
So lange der Preis niedrig bleibt, werden die Ryanairstammkunden möglicherweise auch Zumutungen wie die feste Sitzplatzreservierung hinnehmen – bei weiter steigenden Preisen wäre Wizzair, die weiterhin mit reinem klassischen Konzept unterwegs sind, der große Gewinner. Über kurz oder oder lang sind auch erste Wizzairflüge innerhalb Westeuropas vorstellbar.

Am meisten unter Druck geraten neben Vueling auch easyJet und die teuren Fluglinien – namentlich Alitalia und Brussel Airlines. Auf den selben Strecken wird man gegen Ryanair kaum ankommen, zumal die Kriegskasse der Iren nach jahrelangen Gewinnen prall gefüllt sind.

Ab Rom und Brüssel dürfte es also anfangs zu interessanten Preiskämpfen kommen – während zu erwarten ist, dass Vueling und easyJet mitgehen können, darf man auf die Reaktionen von Brussel Airlines und Aliatalia gespannt sein: Akzeptieren die beiden, dass die Zeiten, als Fliegen ein Luxus für wenige war, vorbei sind und bieten realistische Flugpreise an – wobei diese ja, wenn echter Mehrwert angeboten wird, auch ein paar Euro höher sein können als bei den LCC – oder zieht man sich beleidigt zurück?

Die aktuelle Entwicklung bietet eine große Chance für die Menschen in einem zusammenwachsenden Europa auf bezahlbare Mobilität, nachdem sich Flugreisen in den letzten drei Jahren erheblich verteuert hatten. Es kann aber auch zum sterben klasssicher Airlines mit zwangsweise inkludiertem Aufgabegepäck usw. führen.

Spannend wird auch die Reaktion der Flughäfen und Regionen: Ryanair und der Airport Charleroi sind im tristen Charleroi einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Ohne Ryanair bräche die Region zusammen – ähnliches gilt für Girona oder Hahn. Die Regionen sind nun also gefordert, wenn sie nicht von Europa abgehangen werden wollen – Passagiere und Fluglinien mehr denn je zu überzeugen und auch deutlich stärker als bisher zu subventionieren, um Ticketpreise niedrig zu halten: Denn der Gewinn für die Regionen liegt neben der weltweiten Anbindung in den Umsätzen der Fluggäste, die Arbeitsplätze vor Ort schaffen.

Doch darf es nicht bei der Subventionierung von Airlines bleiben: Denn selbst ein 0,01€ Ticket nach Barcelona-Girona lässt einen Kölner heute kaum nach Hahn fahren – wenn die Busfahrt absurde 14€ kostet – der Flug Köln-Girona aber 14,99€ trotz exorbitant hoher Gebühren in Köln-Bonn.

Gratis WiFi, bequemere Bänke zum Übernachten am Airport, ein Willkommensgetränk und ein gratis Shuttle würden den Hahn auch für Kölner attraktiv machen – dafür würden viele Günstigfluggäste drei Stunden Anfahrt in Kauf nehmen.

Das Selbe gilt, wenn Ryanair mehr und mehr Großflughäfen ansteuert, auch für Eindhoven, Reus, Treviso, Hahn, Lübeck, Charleroi und Co.

Die Zeiten, an denen Fluggäste als Zahlvieh gesehen wurden, müssen vorbei sein – Regionen, Airports und Airlines müssen um jeden Gast kämpfen – mit gutem Service, Add-Ons, und fairen Preisen.

Ein glücklicher Fluggast kommt auch gern zurück und übernachtet im Hostel, geht in ein Museum oder geht vor Ort essen und schafft werthaltige Arbeit und sorgt auch für interkulturellen Austausch und das Zusammenwachsen Europas. Genau daher prosperiert zum Beispiel die Region Girona. Denn hier steigt man gerne um – Pensionen, ein neues Hostel und Stadtführungen wurden aus der Taufe gehoben und schaffen Arbeitsplätze und sorgen für Steuereinnahmen.

Wenn man natürlich fliegen künstlich verteuert, wie die deutsche Regierung, wird man europaweit abgehangen: Leipzig-Altenburg, Kassel-Calden, Magdeburg-Cochstedt, Hamburg-Lübeck, München-West, Frankfurt-Hahn, Dortmund oder auch Erfurt-Weimar hätten ein hohes Incoming-Potential für Low-Cost-Flüge bei wirklich günstigen Preisen – in diesen zum Teil Strukturschwachen Regionen würde es massiv Auftrieb geben. Doch man muss am Passagiere kämpfen. Ansonsten fliegen fast alle 175 neuen Boeing 737-800 nur über die Airports hinweg.

Die neuen Strecken in der Übersicht:

Ab London-Stansted (STN): Skelleftea, Brive, Osijek, Basel, Bukarest, Prag, Rabat, Podgorica, Lissabon

Ab Rom-Fiumicino (FCO):  Catania, Palermo, Venedig-Treviso, Lamezia-Terme, Brüssel (BRU)

Ab Brüssel-Zaventeem (BRU):  Venedig (VCE), Lissabon, Barcelona, Porto